Was sind die größten Herausforderungen für die heutigen Stromnetze, und wie kann die Stabilität angesichts der zunehmenden Komplexität und der Integration erneuerbarer Energien verbessert werden?
Die größte Herausforderung, mit der wir heute konfrontiert sind, ist die Volatilität. Mit dem zunehmenden Anteil erneuerbarer Energien wie Wind- und Solarenergie wird das Netz immer unberechenbarer. Herkömmliche Kontrollmechanismen sind nicht schnell oder flexibel genug, um mit Schwankungen fertig zu werden. Wir beobachten auch eine Verlagerung hin zu Echtzeit-Überwachungssystemen, oft in Kombination mit dezentralen Kontrollansätzen. Diese Systeme ermöglichen es den Betreibern, sofort zu reagieren und die Stabilität des Netzes aufrechtzuerhalten, indem sie die verfügbaren Flexibilitäten aktiv nutzen, z. B. die Reaktion auf die Nachfrage, Batteriespeicher und dezentrale Erzeugung. Dies ist ein Schritt in Richtung einer proaktiveren Energieinfrastruktur, die nicht nur auf Probleme reagiert, sondern sie vorhersieht und verhindert.
 
Wie kann eine dezentrale und autonome Netzsteuerung dazu beitragen, die steigende Nachfrage und die schwankende Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien zu bewältigen?
Die Dezentralisierung ist ein flexiblerer Weg, das Netz zu verwalten, und sie ist entscheidend, um sicherzustellen, dass wir mit der steigenden Nachfrage Schritt halten und gleichzeitig die Zuverlässigkeit aufrechterhalten können. Wenn jeder Knoten im Netz Entscheidungen auf der Grundlage von Echtzeitdaten treffen kann, wird das gesamte System widerstandsfähiger und anpassungsfähiger. Dies ist besonders wichtig, da die Erzeugung erneuerbarer Energien nicht nur täglich, sondern auch minütlich schwanken kann.
Mithilfe von KI und digitalen Zwillingen können wir Netzszenarien in Echtzeit simulieren und die Energieverteilung entsprechend anpassen. Diese Technologien ermöglichen eine dynamische Neukonfiguration von Netzsegmenten und einen lokalen Ausgleich von Angebot und Nachfrage. Fällt beispielsweise die Solarleistung in einer Region plötzlich ab, kann das System automatisch Strom aus Speichern beziehen oder die Energie umleiten, um dies auszugleichen – ohne auf zentrale Anweisungen zu warten. Diese Reaktionen sind jedoch durch die zugrunde liegende Netztopologie und die Infrastrukturbeschränkungen begrenzt. Die Wirksamkeit solcher Maßnahmen hängt von der regionalen Konnektivität, der Übertragungskapazität und der Verteilung der Flexibilitäten im Netz ab.
 
Welche Rolle spielt das Flexibilitätsmanagement bei der effizienten Integration erneuerbarer Energien und der Aufrechterhaltung eines stabilen Netzes?
Ein skalierbares Flexibilitätsmanagement ermöglicht uns den Übergang von einem zentralisierten, einseitigen Netz zu einem dynamischen, multidirektionalen Energienetz. Die Idee ist, Energie nicht nur flexibel zu erzeugen, sondern sie auch intelligent zu verbrauchen.
Durch KI-gestützte Lastprognosen und nachfrageseitiges Management können wir den Verbrauch mit der Verfügbarkeit in Einklang bringen. Wird beispielsweise erwartet, dass die Winderzeugung am Abend ihren Höhepunkt erreicht, können industrielle Großverbraucher ihren Betrieb entsprechend planen. In intelligenten Netzen kann der Energieverbrauch von Haushalten angepasst werden, indem Systeme wie Heizung oder Kühlung ein- oder ausgeschaltet werden oder die Ladegeschwindigkeit von Elektrofahrzeugen angepasst wird.
Diese Fähigkeit, dynamisch auf veränderte Bedingungen zu reagieren, ermöglicht es uns, mehr erneuerbare Energien zu integrieren, ohne Überlastungen oder Ineffizienzen zu riskieren. 
 
Können Sie beschreiben, wie KI, digitale Zwillinge und Datenintegration die Widerstandsfähigkeit unserer Energieinfrastruktur stärken?
Die Kombination von KI und digitalen Zwillingen ist ein entscheidender Faktor. Stellen Sie sich einen digitalen Zwilling als eine virtuelle Nachbildung des Netzes vor, die sich genauso verhält wie das reale Netz. Wenn wir ihn mit realen Daten von Sensoren und Zählern füttern, ermöglicht er uns, Szenarien zu simulieren, Reaktionen zu testen und vorausschauende Anpassungen vorzunehmen – bevor etwas schiefgeht.
Hier kommt die KI-basierte Fehlererkennung auf der Grundlage eines digitalen Zwillings ins Spiel. Durch die Analyse von überwachten Fehlersignaturen mit maschinellem Lernen können wir den Ort eines Fehlers mit hoher Präzision identifizieren. Das bedeutet, dass sich die Betreiber bei der Lokalisierung nicht mehr auf breit angelegte, potenziell gefährliche Schaltvorgänge verlassen müssen, bei denen die Gefahr besteht, dass Kaskadenausfälle ausgelöst werden. Bei vorübergegenden Fehlern hilft diese detaillierte Analyse auch, Schwachstellen oder Frühindikatoren für potenzielle zukünftige Probleme aufzudecken, was eine vorbeugende Wartung und eine bessere langfristige Planung ermöglicht.
Dies verbessert sowohl die Fehlerbegrenzung als auch die Systemplanung. Wenn ein potenzielles Problem erkannt wird – wie eine Region, die sich der Kapazität nähert, oder eine Spannungsanomalie – können wir die Auswirkungen modellieren und Lösungen im Voraus bereitstellen. Es hilft uns auch bei der Planung größerer systemischer Risiken, wie Cyberangriffe oder Geräteausfälle, indem wir Ausfallsicherheitsstrategien in einer virtuellen Umgebung testen.
 
Wie sehen Sie die Zukunft der Energieinfrastruktur und der intelligenten Netztechnologien?
Die Zukunft ist autonom, anpassungsfähig und stark datengesteuert. Ich glaube, dass wir uns auf ein Energiesystem zubewegen, in dem jede Komponente – von der Solaranlage bis zum Umspannwerk – mit eingebetteter Intelligenz arbeitet. KI wird nicht nur für die Optimierung, sondern auch für die Sicherheit, die Erkennung von Anomalien und die Selbstreparatur von Protokollen sorgen.
Wir werden auch eine engere Integration zwischen den Sektoren erleben: Gebäude, Mobilität und Industrie werden als aktive Teilnehmer mit dem Netz interagieren. So werden beispielsweise Elektrofahrzeuge als mobile Speicher dienen und Energie zurückspeisen, wenn das Netz sie braucht.
Und schließlich werden die Energiesysteme stärker dezentralisiert werden. Gemeinden und sogar einzelne Haushalte werden Energie lokal erzeugen, speichern und handeln. Die Technologie wird es möglich machen –aber es ist die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Industrie, Politik und Gesellschaft, die den Übergang wirklich vorantreiben wird.
 
             
            
        