Interview

Digitalisierung verändert die Art und Weise, wie Gesellschaft und Organisationen arbeiten

Unter der Leitung von Prof. Dr. Daniel Mendez (Leiter Kompetenzfeld Requirements Engineering) hat fortiss Wissenschaftler Oleksandr Kosenkov das Forschungsprojekt Coding Public Value (CPV) über drei Jahre lang betreut und im Sommer erfolgreich abgeschlossen. Im Interview schildert er, warum das Projekt einen wichtigen Beitrag für das öffentliche Gemeinwohl leistet.

Könnten Sie das Projekt Coding Public Value kurz zusammenfassen? Worin bestand der Fokus dieses Projekts?

Coding Public Value war ein interdisziplinäres Forschungsprojekt, das sich auf die Erforschung von Methoden zur Einbettung von öffentlichem Wert (Public Value) in Softwaresysteme öffentlich-rechtlicher Medienunternehmen konzentrierte. An dem Projekt waren vier Disziplinen beteiligt: Softwaretechnik, Rechtsforschung, Kommunikationswissenschaft sowie Gesellschafts- und Technikwissenschaften.

Was ist der Hintergrund zu CPV und warum war es wichtig, Public Value zu berücksichtigen?

Öffentlicher Wert und öffentliches Interesse erhalten aus zwei Gründen immer mehr Aufmerksamkeit. Erstens verändert die Digitalisierung die Art und Weise, wie die Gesellschaft als Ganzes und wie verschiedene Organisationen arbeiten. Die öffentlich-rechtlichen Medien bilden da keine Ausnahme, denn sie müssen auf die Veränderungen in der Medienlandschaft reagieren, um mit den privaten Medienunternehmen konkurrenzfähig zu bleiben. Der öffentliche Wert ist jedoch nicht von vornherein in diese digitalen Technologien eingebettet, weshalb er in diesem Zusammenhang besondere Aufmerksamkeit erfordert. Ein weiterer Grund sind neuartige Formen von Bedrohungen im Bereich der Information, wie Fehlinformationen und politische Beeinflussungskampagnen. Diese bedrohen eindeutig den Public Value.

Was waren die größten Herausforderungen bei Ihrem Projekt?

Die größte Herausforderung bestand darin, die Kluft zwischen den am Projekt beteiligten Disziplinen zu überwinden und Public Value als eine für alle Disziplinen relevante Anforderung an Softwaresysteme zu betrachten. Auch wenn es auf den ersten Blick wie ein einfacher Requirements-Engineering-Prozess aussieht, es müssen doch zahlreiche Feinheiten berücksichtigt werden. So werden die von den Beteiligten formulierten Anforderungen nicht nur in Softwaresysteme eingebettet, sondern auch umgestaltet. Beispielsweise verändern Empfehlungssysteme die Art und Weise, wie das Publikum erreicht wird, und die Art und Weise, wie wir über Public Value denken. Daher ist es wichtig, Informationen über Empfehlungssysteme oder andere Technologien bereitzustellen, die eingesetzt werden, damit die verantwortlichen Rollen verstehen können, wie der öffentliche Wert durch sie geformt wird, und ihre Anforderungen verfeinern können. Im Wesentlichen sehen wir also, dass das Requirements Engineering für Public Value zu einem zweiseitigen interaktiven Prozess wird.

Sie sprechen immer wieder von Public Value. Wie lässt sich dieser „öffentliche Wert“ beschreiben?

Das war eine weitere Herausforderung, der wir uns stellen mussten. Sogar in den Sozialwissenschaften ist Public Value schwer zu definieren. Der Beitrag unseres Software-Engineering-Pakets war ein Versuch, dies zu konkretisieren. Wir sehen Public Value als Ergebnis von Verhandlungen zwischen allen Beteiligten über das sozial wünschenswerte Verhalten und die Werte, die in der Gesellschaft befolgt werden sollen. Für Medienorganisationen ist es ein Konsens zwischen dem, was das Publikum sehen möchte, was die Regulierungsbehörden aus ihrer gesamtgesellschaftlichen Perspektive für relevant halten, was Medienorganisationen in ihren Angeboten bereitstellen können und was Technologien vorschlagen können. Public Value ist dynamisch und entwickelt sich weiter. Es kann schwierig sein, seinen konkreten Inhalt zu bestimmen, da sich jeder der oben genannten Aspekte verändert. Der Beitrag des Software Requirements Engineering als Forschung und Praxis besteht darin, die wirksame Einbeziehung von Interessengruppen zu ermöglichen, damit diese Anforderungen einvernehmlich formulieren können, die wir für die Entwicklung mehrerer Softwaresysteme nutzen können.

Wie lässt sich das in der Praxis umsetzen?

Wir haben uns auf die Entwicklung eines Modells konzentriert, das auf verschiedene Weise operationalisiert werden kann. Es gibt nur wenige Anwendungsfälle für die Operationalisierung des Artefaktmodells. Der grundlegende Fall ist der Gebrauch des Modells zur Unterstützung der Interaktion zwischen verschiedenen Beteiligten in kollaborativen Workshops. Während der Workshops können Interessenvertreter mit unterschiedlichen Funktionen das Artefaktmodell nutzen, um zunächst die schriftlichen Quellen der Artefakte zu identifizieren. Dies können zum Beispiel verschiedene Arten von Vorschriften aus rechtlicher Sicht oder journalistische und redaktionelle Richtlinien sein. Diese Informationsquellen werden gemeinsam in einer Weise verarbeitet, die die regulatorische und mediale Perspektive auf das Thema Public Value erklärt. Die Ergebnisse solcher Domänenartefakte werden in Software-Anforderungsartefakten festgehalten. Ein weiterer und etwas fortgeschrittener Anwendungsfall, den wir uns vorstellen können, ist der Einsatz des Modells für die Entwicklung von Artefaktmanagement-Tools, die die konzeptionelle Integration des Inhalts verschiedener Artefakte unterstützen, z. B. Vorschriften, interne Richtlinien und Softwareanforderungen.

Sind Ihre Ergebnisse auch in anderen Bereichen als den Medien anwendbar?

Wir sehen, dass unsere Ergebnisse potenziell für private Medienorganisationen nützlich sein können, da sie in der modernen Medienlandschaft auch einen Teil der Verantwortung für die Umsetzung von Public Value tragen. Wir gehen auch davon aus, dass unsere Ergebnisse für ein breites Spektrum von Organisationen anwendbar sind, um die durch die Digitalisierung veränderten Herausforderungen der Wertschöpfung anzugehen. Die Digitalisierung bringt insgesamt die Herausforderung mit sich, Softwaresysteme zu entwickeln, die den Anforderungen mehrerer Stakeholder gleichzeitig gerecht werden, und alle sollten berücksichtigt werden, um Softwaresysteme möglichst effektiv zu gestalten. Wir sehen auch das Aufkommen von Konzepten der Vertrauenswürdigkeit und Transparenz, die wie das Konzept des Public Value keinen bestimmten Inhalt haben, sondern eher eine Idee oder eine Form, die angesprochen werden muss. Und genau hier können wir aus der Perspektive der Requirements-Engineering-Forschung einen Beitrag leisten. Wir laden daher interessierte Unternehmen ein, diese Herausforderungen gemeinsam mit uns zu erforschen und anzugehen.

Erfahren Sie mehr zum ► Projektabschluss Coding Public Value (CPV).

  Marketing & Presse

Ihr Kontakt

Marketing & Presse

presse@fortiss.org