Die Entwicklung sicherheitskritischer Systeme stellt hohe Anforderungen an Fehlerfreiheit und Robustheit. Für die erforderliche Zertifizierung sind umfangreiche Normalbereichs- und Robustheitstests erforderlich, die sowohl auf System- als auch auf Komponentenebene durchgeführt werden müssen. Bisherige Ansätze zur Testfallgenerierung stoßen dabei an ihre Grenzen: Auf Systemebene ist die Ableitung von Tests aufgrund emergenten Verhaltens schwierig, während die automatische Testfallgenerierung auf Komponentenebene mit hoher Berechnungskomplexität verbunden ist. Manuelle Tests auf niedriger Ebene sind zudem aufwändig und fehleranfällig, was eine nahtlose Verknüpfung mit den Systemanforderungen erschwert.
Integration fortschrittlicher Verfahren in den Entwicklungsprozess
Um Fehler in sicherheitsrelevanten Systemen frühzeitig und effizient zu identifizieren, entwickelt fortiss im Rahmen des Projekts PlaTFoRm (PracticalTesting of Formal Requirements) gemeinsam mit Verified Systems International GmbH (Deutschland), D-Risq Ltd und der Newcastle University (Vereinigtes Königreich) innovative Lösungen zur Validierung von Systemanforderungen. Diese Lösungen ermöglichen es, High-Level-Requirements in einer formalen, aber intuitiven Sprache zu formulieren, aus denen automatisch Vor- und Nachbedingungen extrahiert werden. Auf dieser Grundlage wird eine heuristische Testfallgenerierung ermöglicht, die den Berechnungsaufwand reduziert und gezielt Worst-Case-Szenarien identifiziert.
Die fortiss Wissenschaftler aus dem Kompetenzfeld Model-based Systems Engineering arbeiten an zwei zentralen Aspekten, um fortschrittliche Verfahren wie formale Methoden und (Co-)Simulation effektiv in den Entwicklungsprozess zu integrieren. Zum einen soll im Projekt ein Framework für simulationsbasierte Robustheitstests auf Systemebene entwickelt werden. Dieses Framework ermöglicht es, sicherheitsrelevante Eigenschaften bereits in frühen Entwicklungsphasen zu überprüfen, wobei die Injektion von Software- und Hardwarefehlern zum Testen von Sicherheitsmechanismen unterstützt wird. Zum anderen werden Ansätze zur automatisierten heuristischen Testfall-Generierung entwickelt, die die schnelle und gezielte Identifikation von Testfällen ermöglicht, um potenzielle Fehler in einem integrierten System zu entdecken. Die Testfall-Generierung basiert auf systemspezifischen Heuristiken, die aus formalen Requirements abgeleitet werden.
In beiden Fällen wird das Ziel verfolgt, Ingenieur*innen den Einsatz dieser Technologien zu ermöglichen, ohne dass sie Experten auf diesen Gebieten sein müssen. Die hohe Automatisierung der Prozesse trägt zudem dazu bei, den Fachkräftemangel zu verringern.
Praxisnahe Anwendung in Automotive und Medizintechnik
Durch die entwickelte Werkzeugkette wird die Fehlererkennung bei sicherheitskritischen Systemen künftig wesentlich beschleunigt. Automatisierte Testfallgenerierung und simulationsbasierte Robustheitstests tragen dazu bei, Markteinführungszeiten zu verkürzen und Engineering-Prozesse zu optimieren. Die eingesetzten Verfahren werden anhand praxisnaher Fallstudien aus den Bereichen Automotive und Medizintechnik erprobt.
In der Automotive-Fallstudie werden Testfälle für automatische Spurhaltesysteme auf Basis der UNECE R157-Norm aus den quelloffenen Modellen des fortiss Mobility Lab erzeugt. In der Medizintechnik-Fallstudie bezieht sich das Projekt auf sicherheitskritische Software. Die Projektergebnisse sind nicht nur auf diese Bereiche anwendbar, sondern auch auf Industrien wie Luft- und Raumfahrt oder Schienenverkehr. Die beteiligten KMUs nutzen diese, um die Innovation in verschiedenen Sektoren voranzutreiben.
Das PlaTFoRm-Projekt wird im Rahmen des Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand (ZIM) des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) sowie durch Innovate UK im Kontext gemeinsamer Forschungs- und Entwicklungsprojekte zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich gefördert.